Bioproben (z.B. Blut, Speichel, Urin) geben Aufschluss über die spezifischen Reaktionsmuster im Körper auf das SARS-CoV-2. Davon können der Verlauf von COVID-19 und Behandlungsempfehlungen abgeleitet werden. In NAPKON beschäftigt sich das Projekt SAPCRiN (Sample Analysis for Post Covid Research in NAPKON) mit der Probenanalyse für Post-COVID Forschung. Geleitet wird es von Dr. Gabriele Anton (Helmholtz Zentrum München) und Prof. Thomas Illig (Direktor Hannover Unified Biobank, Medizinische Hochschule Hannover). In diesem Interview gibt Thomas Illig Antworten zur Bedeutung der Bioprobenforschung, wie durch Bioproben eine personalisierte Medizin entsteht und warum die Zusammenarbeit in NAPKON zu neuen Möglichkeiten führt.
Was genau wird in SAPCRiN erforscht? Wir versuchen in SAPCRiN mit Hilfe der NAPKON Kohorten die molekularen Veränderungen zu charakterisieren, die während der COVID-19-Infektion und Genesung auftreten, und zu untersuchen, ob diese Veränderungen mit der Entwicklung des Post-COVID-Syndroms (PCS) zusammenhängen. Wie entsteht das PCS und was erhält es aufrecht? Zu diesen Fragen analysieren wir longitudinale Multi-OMICs-Daten (Longitudinal bedeutet, dass Analysen an denselben Patienten mehrmals hintereinander durchgeführt werden. Multi-OMICS bedeutet, dass verschiedene Molekülklassen wie Proteine, Metabolite oder DNA gleichzeitig untersucht werden.) in Kombination mit klinischen und Follow-up-Gesundheitsdaten von NAPKON-Patient:innen, um regulatorische Gene und damit verbundene molekulare Pfade zu identifizieren, die bei der Entstehung und Aufrechterhaltung des PCS eine Rolle spielen. Dieses Wissen kann letztlich dazu beitragen, potenzielle prognostische Marker sowie therapeutische Optionen für das PCS zu finden.
Welches wissenschaftliche Interesse steht hinter der Bioprobenforschung?
Bioproben sind die Grundlage für molekulare Untersuchungen. Molekulare Analysen ermöglichen es, Erkrankungen besser zu verstehen, die Vorhersehbarkeit des Verlaufs der Erkrankungen zu verbessern und neue Stoffwechselwege zu identifizieren, um aus diesen Erkenntnissen neue Medikamente zu entwickeln. Ziel ist eine personalisierte Medizin, die möglichst passgenau auf die Patient:innen ausgerichtet ist.
Woraufhin werden die Bioproben untersucht?
Die Bioproben werden auf unterschiedliche Moleküle, die beim Menschen vorkommen, untersucht. Dazu gehören genetische Untersuchungen. Es werden aber auch Moleküle, die aus der genetischen Information gebildet werden, sogenannte post-genomische Untersuchungen, wie zum Beispiel Analysen der RNA (Transkriptomik), der Proteine (Proteomik) oder der kleinen Moleküle in der Zelle wie Zucker oder Lipide (Metabolomik) durchgeführt. Weiterhin analysieren wir virusspezifische Analysen in unseren Bioproben.
Gibt es schon erste vorsichtige Zwischenergebnisse in der Entschlüsselung, die Sie vorab mit den Kolleg:innen der Standorte teilen würden oder ist es dafür noch zu früh?
Wir haben bisher ca. 40 000 verschiedene Bioproben von den NAPKON Zentren, wo die Bioproben gelagert sind, erhalten. Ein großer Teil dieser Proben wurde bereits an die Labors weitergeschickt, die die verschiedenen molekularen Analysen durchführen. Für erste Zwischenergebnisse ist es also noch zu früh.
Wann erwarten Sie erste Erkenntnisse? Nach den molekularen Analysen, die wahrscheinlich im Herbst abgeschlossen sind, gehen wir an die bioinformatische Analyse der Daten. Dies wird mehre Monate bis wenige Jahre andauern. Erste Zwischenergebnisse erwarten wir aber schon Anfang 2023.
Eine große Leistung von NAPKON ist die harmonisierte Bioprobensammlung. Inwiefern ist das eine Leistung – bzw. wie sehen nicht-harmonisierte Bioproben aus?
NAPKON ist eine der wenigen Studien weltweit, die es geschafft hat, ein standardisiertes Bioprobenpanel und ein standardisierten Datenpanel zu etablieren. Für die Bioproben bedeutet das, dass wir von jedem Patienten und jeder Visite die gleichen Bioprobenarten an jedem Standort einsammeln und dabei exakt dieselben Protokolle verwenden (SOPs= Standard Operation Procedures). Wir sammeln zum Beispiel Blut, Serum, EDTA-Plasma, Urin, PaxGene Röhrchen für die RNA Analyse oder Virus-spezifische Bioproben ein. Bei anderen Studien werden andere, an verschiedenen Standorten unterschiedliche oder weniger Bioprobenarten eingesammelt. In NAPKON haben die standardisierten Bioprobenentnahmen bei späteren molekularen Analysen den immensen Vorteil, die Varianzen, die durch unterschiedliche Bioprobenarten entstehen, zu reduzieren.
Eigentlich verlässt man ja eher ungern die gewohnten Pfade – wie aufwendig ist es, Bioproben zu harmonisieren? Was muss geschehen, um sie zu harmonisieren? Wir haben im Bioprobenkern, der von den Zentren am Helmholtz Zentrum in München und der Medizinischen Hochschule in Hannover geleitet wird, SOPs entwickelt, diese an allen beteiligten NAPKON Standorten geschult, Audits durchgeführt und Rückfragen der Biobanken beantwortet. So konnten wir eine gute Qualität an allen Standorten gewährleisten. Es entstand eine hervorragende Zusammenarbeit zwischen den NAPKON Biobanken und dem Bioprobenkern. Parallel wurde am Standort in Greifswald (Prof. Matthias Nauck) ein Bioproben-Informations-Management System (BIMS) der Firma Kairos (CentraXX) sehr schnell entwickelt, in das die Bioproben-Qualitätsdaten von den beteiligten Biobanken eingepflegt wurden Die erste große Auslieferung der ca. 40 000 Bioproben für die systematische Analyse der NAPKON Bioproben stellt in Sachen Geschwindigkeit und Qualität für Deutschland im klinischen Bereich ein absolutes Novum dar. Mir sind keine deutschen Studien bekannt, die Vergleichbares geschafft hätten. Dafür möchte ich mich ausdrücklich bei allen Beteiligten bedanken.
Bioproben sind endlich und damit sehr kostbar. Dass sie innerhalb von NAPKON geteilt werden – und es auch Externen möglich ist, sich mit Forschungsprojekten um die Nutzung zu bewerben – ist neu. Es ist eine Art der Kooperation entstanden, die es so noch nicht gab. Was ist die Motivation, seine Bioproben in einer gemeinsamen Bioprobenbank anzulegen? Ziel der Biobanken ist es, wissenschaftliche Forschung zu ermöglichen, um den Patient:innen möglichst optimal helfen zu können. Deswegen ist eine wunderbare Motivation an einer solch hochkarätigen und großen Studie wie NAPKON teilzunehmen. Das Anlegen einer gemeinsamen Biobank erhöht die Qualität der Bioproben und damit die Qualität der damit verbundenen Forschung. Das Teilen von Bioproben mit der Wissenschaftsgemeinde sollte daher als Vorbild für alle Studien gelten.
Was sind Motivationsgründe für Patient:innen, Bioproben zu spenden? Patient:innen leiden oft sehr an Ihrer Erkrankung und möchten einen Beitrag leisten, dass ihre Kinder und allgemein die nächsten Generationen weniger an diesen Erkrankungen leiden. Wir sehen nach wie vor eine sehr gute Beteiligung der Patient:innen an Studien wie NAPKON.
Aller Anfang ist schwer und wir wissen alle, dass es nicht immer leicht ist, neue Strukturen und Wege aufzubauen. Was sind Ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Entstehen dieser Kooperation innerhalb von NAPKON? Es war sehr viel Arbeit die Strukturen und Kommunikationswege aufzubauen sowie die Dokumente zu erstellen. Diese Arbeit hat aber auch großen Spaß gemacht und wir haben eine sehr gut funktionierende Infrastruktur geschaffen, an der nahezu alle deutschen Universitätsklinika beteiligt sind. Darauf bin ich sehr stolz. Ich möchte an dieser Stelle explizit den Teams des Bioprobenkerns danken, die eine hervorragende Arbeit geleistet haben.
Haben Sie noch eine Vision für die Forschungsgemeinschaft, die Sie teilen möchten? Ich möchte nochmal dafür plädieren, dass Bioproben und Daten einer großen Forschergemeinde zur Verfügung gestellt werden, wie das in NAPKON vorbildlich praktiziert wird. Nur so können zahlreiche Hypothesen überprüft werden und schlussendlich hoffentlich einige davon die Gesundheit der COVID-19 Patient:innen signifikant verbessern.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Illig!